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    Eröffnungsrede zur ersten Veranstaltung des Vereins‚ Freunde Jüdischer Kultur Esslingen e.V.’ am 29.01.2006:

    Sephardische Musik mit der Gruppe Asamblea Mediterranea

    Sehr geehrte Damen und Herren, mit der heutigen Veranstaltung betritt unser im letzten Drittel des vergangenen Jahres 2005 gegründeter Verein die Öffentlichkeit Esslingens. Wahrscheinlich werden Sie wissen wollen, warum wir den Verein gegründet haben und worin seine Notwendigkeit für die Stadt Esslingen bestehen könnte. Denn auf den ersten Blick scheint ja das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen bei uns ganz normal und reibungslos zu funktionieren. Niemand wird hierzulande mehr aufgrund von Herkunft und religiöser Grundeinstellung benachteiligt geschweige denn verfolgt. Juden – und es gibt sie wieder hier – gehen so selbstverständlich ihren Betätigungen nach wie jeder andere Bürger, ohne dass es normalerweise auffällt. Auch in der Musikgruppe von Alon Wallach finden wir das gleiche Bild: das selbstverständliche Zusammenwirken im Geiste der Musik ohne Ansehen von Herkunft oder weltanschaulicher Einstellung. So muss es auch sein, und anders kann das Zusammenleben in einer weltoffenen, auf die Zukunft gerichteten modernen Gesellschaft gar nicht mehr funktionieren. Wären wir an der Ostküste der USA, könnte ich mich bei diesem Befund zurücklehnen und ein: ‚OK, fine’ von mir geben, und Ihnen dann mitteilen, dass uns, einige Bürger dieser Stadt, Neugierde, Faszination und Lerneifer bewogen haben, den Verein zu gründen, um in seinem Rahmen mehr mit dem Judentum in Berührung zu kommen. Indessen: wir befinden uns hier mitten in Deutschland, im ehemaligen Synagogenraum des Theodor-Rothschild-Hauses in Esslingen a.N., also an einer Stätte, von der aus wie von anderen Stätten auch die schlimmste Katastrophe unserer nationalen Geschichte und der Geschichte des jüdischen Volkes ihren Ausgang nahm. Wir sind eben keine Amerikaner, Franzosen oder Engländer, unsere Geschichte ist schwierig und dunkel. Das Wort ‚Jude’ rührt an unsere Wunde ebenso wie das Wort ‚deutsch’ an die des Juden. Dieser Sachverhalt wird der deutschen Öffentlichkeit zu bestimmten Anlässen bewusst, an denen Jahrestage des Grauens gefeiert werden, um dann wieder ins Dämmerlicht des Unbewussten hinab zu sinken, den mentalen Erfordernissen des Alltags Platz machend. Zwar sind diese Feiern und Erinnerungen wichtig und sollen in keiner Weise entwertet werden, aber unserer Meinung nach bedarf es weiterer Aktionen, um das Böse auf die Dauer zu besiegen. Das Böse: das ist der Hass auf das Unbekannte in unserer Nähe, das sich unserem leichten Verständnis entzieht und dadurch scheinbar bedrohlich wird. Gerade dort aber setzt unser Verein an: wenn wir Wissen verbreiten über das Judentum, bauen wir Barrieren ab, fördern wir Verständnis, wird das Fremde vertrauter. Flankiert wird dieser aufklärerische Gedanke durch das Bemühen um Kontakte zu hier lebenden Juden. Wir sind überzeugt, dass Vorurteile am ehesten durch menschliche Kontakte überwunden bzw. vermieden werden können. Deshalb möchte ich besonders betonen, dass sich der kulturelle, gesellschaftliche Wert unseres Vereins dadurch erhöhen wird, wenn ihm sowohl Juden als auch Nichtjuden angehören. Wenn dies erreicht würde, gelänge uns vielleicht ein Novum, zumindest im Lichte der Vergangenheit des beginnenden 20. Jahrhunderts: wurde in den damaligen Vereinen zunehmend strikt die Trennung von Juden und Nichtjuden betrieben als Ausdruck des sich unheilvoll verstärkenden Rassenwahns, bemühen wir uns dagegen gemeinsam und miteinander um die kulturellen Ziele des Vereins. Dessen zentrales ist die Wieder-Vergegenwärtigung jüdischer Kultur – und Lebenswelt in Esslingen. Jüdisches Leben, jüdischer Geist im Kulturleben unserer Stadt ist für uns alle eine enorme Bereicherung, etwas Kostbares, das dieser Stadt in früheren Zeiten viel geschenkt hat und in Zukunft wieder viel geben könnte. Hierin geht die Landeshauptstadt mit gutem Beispiel voran; erinnert sei an die öffentliche Chanukka-Feier auf dem Stuttgarter Schlossplatz Ende letzten Jahres. Am leichtesten und vielleicht auch am selbstverständlichsten gelingt diese Wieder- Vergegenwärtigung jüdischen Lebens in der Kunst, und besonders in der Musik. Es ist daher auch kein Zufall, dass der Verein seine öffentliche Tätigkeit mit einem Konzert beginnt, bezeichnenderweise mit der Musik der Sephardischen Juden. Sie wurden am Ende des 15. Jahrhunderts aus der Iberischen Halbinsel vertrieben, doch schließlich kehrten nach 450 Jahren wieder Juden zurück nach Spanien. Auch wir feiern mit diesem Konzert einen kleinen Sieg über die bösen Mächte unserer Vergangenheit: die jüdische Kultur lebt wieder an diesem Ort, und sie lebt hier, weil wir als Bürger dieser Stadt aus unserem demokratischen Selbstverständnis heraus es nicht zulassen können, dass den Feinden von Freiheit und Recht ein Sieg zukommt, selbst nicht nach siebzig Jahren.